Wald- und Wiesenepos

„Hall of Fame“ für Waldviertler Wildtiere

Ein Hecht, eine Maus und eine Wildente sind die Bewohner eines Stück Landschafts rund um das Rabenloch im Waldviertel. Sie sind die HeldInnen des Landschaftskunst-Projekts Wald- und Wiesen- Epos. Wie Millionen andere Wildtiere wäre ihr Leben völlig unbemerkt verlaufen – hätte ihnen nicht die Gruppe Literatur an anderen Orten ein Denkmal gesetzt.Die AutorInnen haben Momente aus dem Leben der drei Tiere herausgegriffen und diese Beobachtungen als Inschriften in die Granitwände rund um das Rabenloch gemeißelt. Es geht um die großen universellen Themen:Tod und Überleben, Glück und Leid,Geschick und Schicksal – wie die unvorgesehene Reise eines Hechts, der sich bei Hochwasser in den schmalenWaldbach verirrt hat oder die mutige Entscheidung einer Wildente bei der Wahl ihres Nistplatzes.

Der andere Blick auf das Leben in der Natur

Steinerne Inschriften zeugen von besonderen Ereignissen, deren Beschreibung die Jahrhunderte überdauern soll. „Literatur an anderen Orten“möchte mit diesem Werk der tierischen Mitwelt Respekt zollen. Anders als in der ökologischen Sichtweise, in der Tiere bis hin zur „Biomasse“ entindividualisiert werden, gestehen wir den Tieren persönliche, historische Präsenz zu.  Die herausgegriffenen Momente stehen stellvertretend für all jene Anekdoten, Tragödien und Komödien, die sich im kurzen Leben der Wildtiere abspielen. Ihre vermeintliche Bedeutungslosigkeit wird durch die Dauerhaftigkeit der Inschriften im Granit konterkariert und aufgelöst.

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Die Poesie der Biomasse

Das Leben der Wildtiere spielt sich im weiten Abseits unserer Aufmerksamkeit ab. In den Wiesen und Wäldern, in Flüssen, Seen und Bächen leben Millionen Tier-Individuen. Sie wachsen heran, lieben, leiden, kämpfen und sterben. In unserem Bewusstsein treten Wildtiere fast ausschließlich als Kollektiv auf – als Art oder als Gattung. In der Ökologie geht diese Ent-Individualisierung bis hin zur Bezeichnung „Biomasse“.

Das AutorInnenkonglomerat „Literatur an anderen Orten“ richtet den Fokus auf die Individualität der Tiere. Mit dem Denkmal für Wildtiere feiern wir sie als autonome Persönlichkeit mit historischer Präsenz. So wie wir an alten Häusern Inschriften finden, die an Frauen und Männer vergangener Jahrzehnte und Jahrhunderte erinnern, die hier geboren wurden, wohnten oder verstarben, so erinnern wir mit einer Reihe von Inschriften an Wildtiere, die rund um das Rabenloch geboren wurden, wohnten und starben. Die Auswahl der Tier-Individuen ist notgedrungen willkürlich und beispielhaft. Wir beschreiben Schicksale und Taten, für die wir zufällig Zeugen wurden und begreifen diese als Stellvertreter für alle andere. Wir zeichnen unsere Beobachtungen auf, indem wir sie in lapidaren Sätzen formulieren und mit Hammer und Schrifteisen in den Granit meißeln.

Das Rabenloch ist eine Felsformation in der Nähe von Großschönau bei Weitra im nördlichen Waldviertel. Der knapp 400 Millionen Jahre alte Weinsberger Granit bildet hier bis zu zwölf Meter hohe Wände, eingebettet in eine kleinteilige Landschaft aus Wald, Feldgehölzen, einem kleinen Bach, Feuchtwiesen und Überschwemmungs- flächen. Für Wildtiere ist die se Landschaft gleichzeitig Lebensraum, Schlachtfeld, Schule und Jagdre vier. Hier spielen sich all die großen und kleinen Geschichten, Tragödien und Heldentaten der Tiere ab.

Wir von Literatur an anderen Orten treten als Beobachter ein kleines Stück in diese fremde Welt ein. Wir suchen nach Geschichten, finden Spuren, erahnen einiges, erraten manches. Eine kleine Auswahl dieser kleinen Geschichten erzählen wir weiter – in Form steinerner Inschriften und als Denkmal für diese Welt, die unabhängig von den kulturellen und ökonomischen Netzen des Menschen existiert. Dieses Denkmal klagt nicht an. Es fordert auch kein moralisches Innehalten. Es weist hin auf die Existenz einer Parallelwelt, in der Menschen Randgruppen oder Aliens sind.

Die Dauerhaftigkeit und Widerstandsfähigkeit des Weinsberger Granits steht in strengem Kontrast zu den kurzen Leben der Wildtiere und der Momenthaftigkeit unserer Beobachtungen. Das menschliche Zeitmaß wird dadurch doppelt relativiert. Die Vorstellungen von „Dauerhaftigkeit“ als Wert an sich und „Vergänglichkeit“ als negatives Attribut werden in Frage gestellt. Es sind nichts weiter als willkürliche Wertungen, die sich aus der Begrenztheit des menschlichen Zeitempfindens ergeben.

Einer Botschaft, die in Stein gemeißelt ist, erhält unweigerlich eine höhere Bedeutsamkeit und Aufmerksamkeit. Wir arbeiten gewöhnlich am Computer oder mit Stift und Papier. Mit einem Textprogramm braucht man nur ein Minimum an Aufwand um einen Text zu schreiben, zu löschen und zu korrigieren. Das Meißeln einer Inschrift erfordert einen grundsätzlich anderen Umgang mit Text: Zum einen steht nur begrenzter Platz auf dem Stein zur Verfügung. Zweitens erfordert jeder Buchstabe bis zu einer Stunde körperliche Arbeit. Drittens ist gemeißelter Text nur mehr mitgrößtem Aufwand zu korrigieren und zu löschen.

Dem eigentlichen Akt des Schreibens geht deshalb ein strenger Prozess voraus, in dem wir die Inschrift formulieren undentwerfen. Jedes Wort wird auf seine Aussage, seine Kraft und auf die Zahl seiner Buchstaben abgeklopft. Man perfektioniert die Kunst des Weglassens. Entkleidet die Botschaft bis auf das Skelett. Dabei trägt jedes Wort die Wucht von Bedeutung und Assoziationen. Jeder Buchstabe erhält eine individualisierte Sinnlichkeit, die seinen kleinen handwerklichen Unregelmäßigkeiten und der Einzigartigkeit der Materialität geschuldet ist.

Das Meißeln von Inschriften ist für uns eine Auseinandersetzung mit dem Ursprung des Schreibens. Es ist noch urtümlicher als das Schreiben mit Gänsefederkiel und Tinte. Das Formulieren findet nicht mehr im virtuellen Rahmen statt – das Schreibmaterial stellt Bedingungen und setzt Grenzen, über die wir uns nicht hinwegsetzten können.

Das Verfassen von Texten wird zum konkreten Handwerk, das wir uns erst aneignen mussten. Damit machten wir uns einer Grenzüberschreitung schuldig, einer kleinen Respektlosigkeit gegenüber dem alten Handwerk des Steinmetzes, dem wir an dieser Stelle unmissverständlich und ausdrücklichunsere höchste Wertschätzung aussprechen wollen.